(Es gilt das gesprochene Wort)

Ganz herzlichen Dank für die Einladung und für die Gelegenheit, heute hier sprechen zu dürfen. Und ganz herzlichen Dank auch für den spannenden Titel, den Sie mir für das Referat gegeben haben: «Warum ist die Schweiz so reich und weshalb muss es nicht so bleiben?»

Das ist tatsächlich eine interessante Frage; eine, die wir uns zu wenig stellen. Wir haben uns so an den Wohlstand gewöhnt, dass wir ihn oft für selbstverständlich halten, für einen unveränderbaren Naturzustand gewissermassen, der einfach ewig so andauern wird.

Warum also ist die Schweiz so reich?

Eigentlich spricht ja alles gegen uns: Ein Land ohne Bodenschätze, ohne Meeranstoss und damit ohne direkte Handelsverbindungen nach Übersee, dafür mit schwieriger Topographie, mit vier Sprachregionen und konfessionell geteilt; ein Kleinstaat, der seine Interessen nie mit militärischer Gewalt durchsetzen kann.

Man würde nicht erwarten, dass ein solches Land über 700 Jahre besteht. Und man würde ganz sicher nicht darauf wetten, dass es reich und erfolgreich ist.

Worauf beruht denn nun der Erfolg der Schweiz?

Die Schweiz ist weltweit eines der wettbewerbsfähigsten Länder der Welt. Im World Competitiveness Ranking von 2024 stand unser Land auf Platz zwei hinter Singapur.

Aber das ist, wie wenn man in einer mathematischen Gleichung x durch y ersetzt; das bringt uns dem Resultat noch nicht viel näher.

Automatisch stellt sich ja die Anschlussfrage: Was macht uns denn so wettbewerbsfähig?

Nun - wir dürfen von uns behaupten, dass wir tüchtig sind und viel arbeiten. Unsere wöchentliche Arbeitszeit bei Vollzeitstellen liegt deutlich über dem EU-Schnitt.

Wir haben einen funktionierenden Rechtsstaat, das Eigentum ist garantiert, ebenso die Wirtschafts- und die Forschungsfreiheit.

Die Schweiz gehört insgesamt zu den steuergünstigen Ländern. Die Regulierungsdichte ist im Vergleich moderater.

Unser Land ist viel tiefer verschuldet als die meisten andern. Der Schweizer Franken gehört zu den stabilsten Währungen.

Und obschon wir ein Binnenland sind und nie eine Seefahrernation waren, gehört die Schweiz zu den wirtschaftlich am stärksten globalisierten Volkswirtschaften der Welt:

Im letzten Jahr belegte sie auf dem Ranking der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich Platz zwei hinter Holland.

All das spielt eine entscheidende Rolle. Aber wir haben damit immer noch keine Antwort auf die Frage, warum das so ist.

Anfang des Aufstiegs – ein Blick von aussen

An diesem Punkt hilft uns eine historische Anekdote weiter. Sie wirft ein Schlaglicht auf die frühen Anfänge unseres wirtschaftlichen Aufstieges; auf die Zeit, in der die Unterschiede zu anderen Regionen und Ländern allmählich deutlicher hervortraten, auf die Zeit, in der sich die Schweiz vom breiten Feld zu lösen begann:

In den 1830er-Jahren beauftragte das britische Parlament den Wirtschaftsdiplomaten John Bowring mit einer Reise durch die Schweiz; offensichtlich war die damals dominierende Welt- und Wirtschaftsmacht Grossbritannien irritiert, dass es da ein kleines Land in den Alpen gab, das mehr und mehr als überraschender Konkurrent auf die Märkte drängte.

Bowring verfasste einen Bericht zuhanden des Parlaments in Westminster – «The Report on the Commerce and Manufactures of Switzerland».
Darin analysierte er die Ursachen und die Besonderheiten der Schweiz, die diesen aussergewöhnlichen Erfolg möglich machten.

Der Engländer hatte ein Land kennengelernt, das Erfolg hatte, weil es so anders war, weil es einen eigenständigen Weg ging; er hob anerkennend die kantonale Unabhängigkeit hervor und beschrieb staunend, wie die Gesetzgebung in den meisten Kantonen «direkt in den Händen des Volkes» liege; er berichtete, dass Wirtschaft und Handel von «allgemeiner Zustimmung getragen» würden.

Er wies darauf hin, dass es in vielen Kantonen keine Staatsverschuldung gibt; beeindruckt zeigte er sich von der internationalen Vernetzung der Unternehmer, von deren globaler Ausrichtung auch auf Märkte in Übersee.

Ich will hier einen Satz aus dem Bericht zitieren, weil er so aufschlussreich ist. Nachdem der Bericht die Schwierigkeiten unserer Geographie erwähnte, hält er fest:

«Doch trotz aller Hindernisse sind die in der Schweiz hergestellten Produkte auf allen großen Märkten der Welt zu finden, und der Grund dafür ist einfach, aber unmissverständlich: Die Industrie wurde sich selbst überlassen.»
Weiter heisst es dann, dass die Unternehmer nicht vom Staat gefördert werden, dass es keine speziellen Gesetze gäbe, um ihnen zu helfen, keine Subventionen oder Schutzzölle.

Dem englischen Besucher fällt das auch deshalb auf, weil der Kontrast zu den anderen Ländern so gross ist; diese betrieben alle, was wir heute Industriepolitik nennen.

Schon damals zeigte sich aber, dass staatliche Eingriffe höchstens kurzfristig wirken. Der Markt rächt sich. Die Eingriffe führen bald zu Verzerrungen und Ineffizienz. Die Schweiz ist demgegenüber gut gefahren mit ihrer liberalen Zurückhaltung.

Das Erfolgsfundament der Schweiz

Der englische Handelsdiplomat schrieb damals vor bald 200 Jahren mit seinem Bericht über die Schweiz vielmehr als nur eine Randnotiz der Geschichte; er liefert eine scharfsinnige Erklärung, warum dieses seltsame Gebilde in den Alpen, das so anders ist als andere Länder, derart grossen Erfolg hat – ich bin der Meinung, seine Einschätzung trifft bis heute zu.

Die Besonderheiten, die er beschreibt, wie Föderalismus, Direkte Demokratie, Selbstverantwortung, liberale Ordnung und Eigenständigkeit, sind nach wie vor ausschlaggebend:

Föderalismus

Dem englischen Besucher ist unser Föderalismus positiv aufgefallen. Die Schweiz ist von unten gewachsen, sie ist kleinräumig und dezentral organisiert, viele Entscheide werden nahe bei den Leuten getroffen – in den Gemeinden und Kantonen wird um Entscheide gerungen:

So haben wir einen permanenten Wettbewerb um die besten Lösungen – und auch um attraktive Steuersätze; dank dem Steuerwettbewerb bleiben die Sätze an den meisten Orten auf einem zumindest halbwegs erträglichen Niveau.

Direkte Demokratie

Hand in Hand mit dem Föderalismus geht die Direkte Demokratie: Der Bürger ist bei uns der Souverän, die höchste Instanz im Land.

Manchmal versuche ich bei einem Ministertreffen einem ausländischen Amtskollegen die Schweiz zu erklären; sie staunen dann regelmässig, dass bei uns das Volk das letzte Wort hat und dass wichtige Sachfragen die Zustimmung der Bürger brauchen.

Ich kann jetzt nicht behaupten, ich würde mich über jedes Abstimmungsergebnis freuen … Aber ich freue mich über die Stabilität, die sie unserem Lang geben; in der Direkten Demokratie leben wir mit einer engen Rückkoppelung ans Volk – das verhindert die tiefen Entfremdungen, die wir in anderen Ländern bisweilen sehen und die früher oder später zu Umbrüchen oder Verwerfungen führen.
Gerade erst letzte Woche wurde in der NZZ ein neues Stabilitätsranking für Länder besprochen, in dem die Schweiz ganz vorne lag.

Selbstverantwortung und liberale Ordnung

Unsere Direkte Demokratie beruht auf einem positiven, liberalen Menschenbild: Wir glauben an den mündigen Bürger, an die Selbstverantwortung. Wir wollen nicht überall staatliche Kontrolle, wir brauchen nicht überall staatliche Unterstützung.

Das gibt den Menschen in unserem Land die Freiheit, sich zu entfalten – persönlich, aber auch wirtschaftlich. Das setzt diese eindrückliche positive Energie frei, dank welcher die Schweiz im internationalen Wettbewerb in so vielen Branchen Spitzenplätze belegt.

Zwischenfazit

All diese Schweizer Besonderheiten mögen vielleicht für Aussenstehende manchmal etwas speziell erscheinen. Für die Schweiz aber haben sie sich als Erfolgsrezept erwiesen:

Unser Land war eines der ersten, das Grossbritannien auf dem Weg der industriellen Revolution folgte. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg war die Schweiz im Pro-Kopf-Vergleich der weltweit grösste Investor. Und das zu einer Zeit notabene, als die Briten noch ihr Empire hatten, die Franzosen und Holländer noch ihre Kolonien.

Natürlich verlief der Aufstieg nicht nur geradlinig, natürlich gab es Krisen und Rückschläge. Aber die Schweiz bewies sich immer wieder als anpassungs- und wandlungsfähig, ohne dabei aufzugeben, was sie im Kern ausmacht.

Risiken für unseren Wohlstand

Der Titel, den Sie mir für das Referat gegeben haben hat ja zwei Teile: «Warum ist die Schweiz so reich und weshalb muss es nicht so bleiben?» – nun komme ich zum zweiten Teil: «Weshalb es nicht so bleiben muss».

Goethe hat mal geschrieben: «Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von schönen Tagen». Mir kommt dieser Spruch im Zusammenhang mit der Schweiz immer wieder in den Sinn.

Bisweilen zeigt sich bei uns deutlich ein gewisser Wohlstandsüberdruss; dann wieder scheint mir, wir erschrecken an unserem eigenen Erfolg. Und manchmal lassen wir uns auch einfach etwas gar stark vom Zeitgeist beeindrucken. Dabei vergessen wir, was eigentlich unseren Wohlstand ausmacht, warum es uns so gut geht, warum wir eines der reichsten Länder der Welt sind.

Angriffe auf die liberale Ordnung

Da sind diese frontalen Angriffe auf unsere bewährte, freiheitliche Ordnung. In hoher Kadenz werden Initiativen eingereicht, die direkt unsere Erfolgsgrundlagen wie solide Haushaltspolitik, Wirtschaftsfreiheit oder Eigentumsordnung ins Visier nehmen:

Ich denke da beispielsweise an die Klimafondsinitiative; sie verlangt, dass der Bund jährlich Mittel im Umfang von 0,5 bis 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts in einen Fonds für Klimamassnahmen einspeist. Dies entspräche aktuell zwischen 3,9 und 7,8 Milliarden Franken pro Jahr.

Oder ich denke an die Initiative der Juso, die auf Beträgen über 50 Millionen Franken eine Erbschafts- und Schenkungssteuer von 50 Prozent einführen will und damit auf das Privateigentum wie auch auf das freie Unternehmertum zielt.

Etatismus

Nebst diesen Frontalangriffen gibt es auch schleichende Entwicklungen: Wir haben immer noch einen verhältnismässig schlanken Staat – man muss aber «immer noch» und «verhältnismässig» betonen. Denn wir lassen diese Stärke erodieren. Bürokratie und Regulierung nehmen zu.
Ein illustrierendes Beispiel ist der Bürokratiemonitor des SECO; er zeigt an, dass 60 Prozent der befragten Unternehmen die administrative Belastung als «eher hoch» oder «hoch» wahrnehmen.

Die Regulierung nimmt zu, der Staat wächst – auch bei uns: Gemäss einer Untersuchung von Avenirsuisse erreicht die erweiterte Fiskalquote, also die Summe aller Steuern und Sozialversicherungsabgaben einschliesslich der obligatorischen Beiträge an Kranken- und Pensionskassen im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt mittlerweile 40%. Damit erreichen wir etwa das Niveau von Deutschland oder Österreich.

Im öffentlichen Sektor arbeiten bereits um die 23% des Arbeitskräftepotentials. Der Stellenzuwachs ist hier deutlich stärker als in der Privatwirtschaft.

Zudem ist bei uns über die Hälfte der Preise nicht mehr das Resultat von Angebot und Nachfrage, sondern vom Staat mitgestaltet oder sogar direkt kontrolliert.

Das alles tönt jetzt nicht gerade nach zurückhaltendem Staat und liberaler Marktwirtschaft – Diese Tendenzen sollte uns schon zu denken geben.

Energie

Auch andere Warnzeichen sollten wir registrieren: In unserem nördlichen Nachbarland sehen wir beispielsweise, welchen Schaden eine verfehlte Energiepolitik in der Wirtschaft anrichten kann.

Für uns kann es daraus nur eine Schlussfolgerung geben: Wir müssen es anders machen, besser machen. Energiepolitisch stellen wir heute die Weichen für den Wohlstand von morgen.

Deshalb bringe ich einen Gegenvorschlag zur Blackout-Initiative, der das Verbot für den Bau neuer Kernkraftwerke aufhebt. Gegenwärtig ist dieser in der Vernehmlassung, im Sommer werde ich dem Bundesrat die Botschaft vorlegen.

Damit schaffen wir Technologieoffenheit – übrigens betreffend eine Technologie, an der intensiv geforscht wird und die sich stark weiterentwickelt. Es ist mir wichtig zu betonen:

Wir stellen den Ausbau der erneuerbaren Energie nicht in Frage, aber wir brauchen eine zusätzliche Handlungsoption. Der Strombedarf wird in der Schweiz durch Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum, durch Dekarbonisierung und Digitalisierung stark zunehmen. Und die bestehenden Kernkraftwerke werden auch nicht auf ewig produzieren können.

Ich plädiere deshalb für mehr Realismus und weniger Ideologie. Die Zukunft gewinnt man nicht mit Verboten! Im Kern geht es um die grundlegende Frage, ob unser Land zukunftsfähig ist, ob es Schritt halten mag mit andern auf dem Weg in das Zeitalter der digitalen Wirtschaft, oder ob wir im harten internationalen Standortwettbewerb den Anschluss verpassen.

Fazit

Damit komme ich zum Schluss: Warum ist die Schweiz so reich und weshalb muss es nicht so bleiben? Diese Frage sollten wir uns öfter stellen, eigentlich gehört sie an den Anfang jeder politischen Diskussion und sollte uns bei jeder Entscheidung begleiten.

Denken wir daran: Unser Wohlstand und unser Erfolg sind nicht selbstverständlich – es muss nicht so bleiben. Aber es kann so bleiben – es kann so bleiben, wenn wir die Kraft und den Mut haben, die Werte und Eigenheiten zu erhalten, die sich für unser Land als Erfolgsrezept erwiesen haben.

Ich danke Ihnen!